Angeblich ein seltener Rötling

Es gibt 2 Antworten in diesem Thema, welches 1.477 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag (5. August 2020 um 07:23) ist von Clavaria.

  • Hallo zusammen

    Am Sonntag fielen mir im Rasen vor unserer Ferienwohnung kleine, bräunliche PIlze auf.

    Von weitem dachte ich an die üblichen Düngerlinge, ging aus Langeweile aber doch schauen.

    Sieh an, ein Rötling. Sah aus wie der häufige Entoloma juncinum. Zu Hause unter dem Mikroskop wollte ich das rasch bestätigen.

    Aber eigentlich waren die Sporen durchwegs zu klein, und bei genauerem Hinsehen war der Stiel auch arg silbrig faserig.

    Somit kam ich rasch auf Entoloma ortonii, den Kleinsporigen Rötling.

    Die Untersuchung der HDS und die Schnallensuche namen noch einige Zeit in Anspruch, aber es passt alles zusammen.

    Warum gilt der als selten? Ich denke unter anderem aus folgenden Gründen:

    - Otto Normalverbraucher geht primär im Wald Pilze suchen, nicht im Rasen, und achtet nicht auf solche Pilzchen

    - Er sieht aus wie ein häufiger Rötling und wird deshalb gerne als dieser betitelt, ohne dass er untersucht wird

    - Er ist in vielen Büchern nicht drin, dann nimmt man halt den ähnlichsten den man im Buch findet

    Viele Grüsse aus dem sonnigen Wallis

    Raphael

    • Offizieller Beitrag

    Hallo, Raphael!


    Vorab: Ich habe nahezu keine Ahnung von der Gattung. Insbesondere von den Nolanea lasse ich die Finger.
    Eine Zeit lang hatte ich mir's mal überlegt, mich da reinzukruschteln und einige Dutzend Kollektionen bearbeitet, bin aber letztlich bei anderen Gruppen hängen geblieben.

    Entoloma ist halt eine Gattung, mit der man sich wirklich intensiv befassen muss, um zu belastbaren Bestimmungen zu kommen. Makro- und Mikromerkmale sind hier annähernd gleich wichtig (Bestimmungen nur anhand von herbarmaterial sind hier zB ziemlich aussichtslos). Beides braucht in der Gattung ziemlich viel erfahrung, um die benötigte Formenkenntnis zu entwickeln - und die Interpretationssicherheit der festgestellten merkmale einschließlich Gesamtbild.
    Zudem ist seit der Monografie von Noordeloos in der Fungi Europaei - Reihe keine umfassende, zusammenhängende Bearbeitung der Gattung mehr erfolgt - aber dafür recht viele Veröffntlichungen zu einzelnen Arten und Gruppen in diversen Zeitschriften. Man muss da also viel mit zusätzlicher Literatur arbeiten.
    Das alles wirkt auf viele Pilzfreunde dann schon wieder so abschreckend, daß sie da gar nicht intensiver eintauchen möchten und / oder ganz salopp nach irgednwelchen älteren und unvollständigen Büchern ihre Funde (fehl-)bestimmen. Oder anders rum ausgedrückt: Mit (nur als Beispiel, und ändert nichts daran, daß ich die Reihe gut finde) Pilze der Schweiz kann man auch nicht die Rötlinge bestimmen, die darin beschrieben werden - weil die anderen, die genauso ausssehen, ja eben auch vorkommen und es so zu fehlbestimmungen kommt.

    Insofern ist es eigentlich erwartbar, daß gerade solche unscheinbaren Nolanea nur sehr unzureichend kartiert und dokumentiert sind. Kartierungsdaten sind da mindestens lückenhaft, teilweise sicherlich auch falsch (weil nach "Pareys" oder PdS bestimmt :wink: ) - ist aber nichts Neues und betrifft auch viele andere Gattungen und Gattungsgruppen.


    LG; Pablo.

    Das Internet ist "Hilfe zur Selbsthilfe" und kann nur Vorschläge zu Bestimmung von Pilzen bieten. Eine Verzehrfreigabe ist online nicht möglich, die gibt's beim >Pilzsachverständigen<.

  • Hallo Pablo

    Ja, ich denke das Problem von Fehlbestimmungen anhand "lückenhafter" Literatur ist sehr verbreitet.

    Andererseits mache ich den Autoren von PdS wie auch Cetto, Dähncke, Bresadola usw. keinen Vorwurf, dass sie nicht jede Art darstellen konnten oder diverse Fehlbestimmungen publiziert haben (zum "Pareys" enthalte ich mich mal einer Meinung...).

    Für mich sind das ziemliche "Pionierwerke", die geschaffen wurden in einer Zeit ohne Internet, oder als das Internet noch nicht viel hergab in der Mykologie.

    Die Literatur für die Bestimmung war zunächst mal schwierig überhaupt zu finden, dann schwierig zu beschaffen, natürlich teuer, und dann oft ohne Bilder, oder mit wenig hilfreichen Strichzeichnungen.

    Hochpräzise Monographien wie wir das heute mit Fungi Europaei für einige Gattungen haben, mit mehreren Fotos, Mikrobildern und sogar DNA-Untersuchungen für jede einzelne Art, waren kaum verfügbar oder halt eben auch dem damaligen Stand der Wissenschaft entsprechend unvollständig. Und alles stur nach Moser bestimmen war schon damals nicht die beste Empfehlung.

    Bei der Bestimmung schwieriger Gattungen muss man das halt berücksichtigen.

    Wenn ich eine Nolanea, Inocybe, Hebeloma oder einen Tintling bestimme, dann muss wirklich jedes Merkmal exakt passen. Dabei verlasse ich mich nie auf nur ein Buch (egal welches, denn jeder Autor macht Fehler).

    Ich versuche jede Bestimmung mit einer möglichst neuen Monographie oder wissenschaftlichen Publikation zu bestätigen.

    Das gelingt natürlich nicht immer, und auch damit ist man letzten Endes nicht immer absolut sicher, dass die Bestimmung stimmt.

    Oft trifft man auf Widersprüche in der Literatur, die nirgends kommentiert sind und landet damit in einer Sackgasse. Der Fund wird dann halt als "cf. a oder b" angeschrieben.

    Aber gerade das macht die Mykologie so spannend, zumindest für mich. Irgendwie wäre es langweilig, wenn ich ein Buch hätte, mit dem ich jeden Pilz zuverlässig und ohne Zweifel bestimmen kann.

    So, genug geschrieben. Ich muss noch ein Samthäubchen bestimmen, das ich gestern in einem Blumentopf zu Hause fand. Das wird vermutlich genau so ein schwieriger Fall. :)

    Gruss Raphael