Hallo Pilzfreunde,
ich bin vor zwei Wochen mit Borreliose diagnostiziert und entsprechend behandelt worden und habe mich in der Folge näher mit dem Thema beschäftigt und so einiges herausgefunden, was mir vorher nicht so klar war. Außerdem kursieren in Netz und Medien so einige Un- und Halbwahrheiten. Ich dachte mir, dass das vielleicht auch für den einen oder anderen der Mitleser_innen hier im Forum interessant sein könnte, da je früher oder später wahrscheinlich jeder Pilzsammler mit dieser Krankheit zu tun haben dürfte.
Daher, für alle Interessierten nachfolgend die von mir zusammengetragenen Informationen und Quellen (hauptsächlich RKI und U.S. Gesundheitsbehörde). Wie immer bei medizinischen Themen gilt: Alle Angaben wie immer ohne Gewähr. Verlasst euch nicht auf das, was im Internet steht (auch nicht meinen Beitrag) und fragt bei Verdacht auf eine Infektion unbedingt immer euren Arzt/Ärztin oder Apotheker_In.
Da es ein Zeichenlimit gibt, verteilt auf mehrere Beiträge. Allgemeine Quellen die Informationen in mehreren Abschnitten belegen finden sich ganz zum Schluss.
1 Lebenszyklus der Zecke
*Zum Verständnis des Infektionswegs und -risikos ist es hilfreich, die Lebensweise des Hauptüberträgers, der Zecke, zu kennen. Andere Insekten wie etwa Pferdebremsen sind nur für eine geringe Anzahl Erkrankungen verantwortlich.
*Im Herbst legen Zeckenweibchen an geschützten Stellen am Boden ihre Eier ab. Hieraus schlüpfen im Frühjahr sechsbeinige Zeckenlarven (winzig, mit bloßem Auge oft kaum zu erkennen)
*Die Zeckenlarven warten im Laub und Nadelstreu (i. d. R. noch nicht auf Halmen) auf einen Wirt, meist ein kleines Nagetier oder ein Vogel
*Nach der ersten Blutmahlzeit verpuppt sich die Larve und wächst bis zum Frühsommer zur achtbeinigen Zeckennymphe heran. Diese wartet, jetzt i. d. R. auf Halmen und Gräsern, auf eine weitere Blutmahlzeit.
*Nach der zweiten Blutmahlzeit untergeht die Zeckennymphe erneut eine Metamorphose und wächst zur gleich aussehenden aber größeren erwachsenen Zecke heran.
*Erwachsene Zecken warten ebenfalls auf Halmen und Gräsern auf größere Säugetiere (Hund, Fuchs, Reh, Hirsch, Wildschwein, Mensch), die im Sommer/Herbst meist zahlreiche Zecken gleichzeitig haben. Noch auf dem Wirt findet dann die Paarung der männlichen und weiblichen Zecken statt.
*Nach der dritten und letzten Blutmahlzeit fällt das Weibchen vom Wirt ab, legt im Herbst ihre Eier und verendet. Danach beginnt der Zyklus erneut.
Fig. 1: Zecken in verschiedenen Stadien
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeiner_…-life-cycle.jpg
2 Übertragung
2.1 Krankheitserreger
*Borreliose wird ausgelöst durch Bakterien der Gattung Borrelia burgdorferi (s. l.)
*Borrelien haben ihr Hauptreservoir in kleinen Nagetieren, für die sie ungefährlich sind.
*Zeckenlarven sind nach dem Schlüpfen nur selten (manchen Quellen zufolge nie) mit Borrelien infiziert. Sie infizieren sich meist bei ihrem ersten Wirt, oft einem Nagetier.
*Die dann auf größere Beutetiere wartenden Nymphen und erwachsenen Zecken sind dann Träger der Bakterien und können den Menschen infizieren.
2.2 Kann man von der Art der Zecke auf das Infektionsrisiko für Borreliose schließen?
*Generell eher schwierig.
*Hauptüberträger der Borreliose ist der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus), aber auch andere Arten können die Borreliose übertragen, wenn auch seltener.
*Das Übertragungsrisiko steigt mit der Größe der Zecke. Studien zufolge sind weniger als 1% der Largen Träger von Borrelien, aber bis zu 30% der erwachsenen Zecken. Grundsätzlich gilt, je größer die Zecke, desto größer das Risiko. Handelt es sich um eine winzige Zeckenlarve mit nur sechs Beinen ist also die Infektionswahrscheinlichkeit sehr gering, da Larven selten mit Borrelien infiziert sind. (Quelle: Hofhuis et al. 2017)
*Handelt es sich um eine winzige Zeckenlarve mit nur sechs Beinen ist die Infektionswahrscheinlichkeit geringer, da Larven seltener mit Borrelien infiziert sind. Aufgrund der kleinen Größe von Larven und Nymphen ist die Abgrenzung am saugenden oder entfernten Tier jedoch kaum sicher möglich.
*Wenn die Zecke das typische rote Schild auf dem Rücken hat, handelt es sich um ein Weibchen des Gemeinen Holzbocks (unten rechts). In diesem Fall ist von einer besonders hohen Infektionswahrscheinlichkeit auszugehen.
*Sieht die Zecke uncharakteristisch dunkel aus, kann eine Infektion allerdings nicht ausgeschlossen oder als unwahrscheinlich angesehen werden, da die Männchen des Gemeinen Holzbocks schwarz sind (unten links) und auch andere unscheinbare Zecken die Borreliose übertragen können.
*Generell gilt: Je länger die Zecke gesaugt hat und je mehr sie sich vollgesaugt hat, desto höher ist das Infektionsrisiko. Hofhuis et al. (2017) geben für eine vollgesaugte Zecke gegenüber einer Zecke, die noch wenig Blut gesaugt hat ein etwa 4-faches Risiko für eine symptomatische Infektion an (1.4% vs. 5.5%)
Fig. 2: Der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus)
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeiner_…des_ricinus.jpg
3 Gibt es ausgewiesene Borreliosegebiete?
*Ja, gibt es. In manchen Landkreisen gibt es deutlich mehr infektionen als in anderen, aber Landesteile, in denen Borreliose nicht vorkommt (wie etwa bei FSME) gibt es bei nicht. Man kann sich in D/A/CH überall infizieren, auch mitten in Großstädten.
*Die Kassenärztlichen Vereinigungen weisen die unten rot eingezeichneten Landkreise als besondere Risikogebiete aus, die grün markierten Gebiete als weniger riskant.
*Die blaue Karte links zeigt die Diagnoseprävalenz pro 100.000 Einwohner im Jahr 2019. Wichtig: auch in den am unteren Ende der Skala zart hellbau markierten Landkreisen liegt die Diagnoseprävalenz zwischen ca. 100 bis 380 pro 100.000, d.h. 1 von 1000 bis fast 1 von 250 Einwohnern hat sich in dem einen Jahr infiziert, und diese Wahrscheinlichkeit gilt für den Bevölkerungsdurchschnitt, also nicht für einen in der Natur besonders aktive/n Pilzsammler_In. Das Risiko ist auch dort also keineswegs gering.
Fig. 3: Diagnoseprävalenz der Lyme-Borreliose
Quelle: https://www.versorgungsatlas.de/fileadmin/ziva…_2021-06-24.pdf