Krugflechte: Diploschistes gypsaceus oder doch "nur" Diploschistes muscorum?

  • Hallo,

    am Wochenende war ich in Lauffen am Neckar unterwegs und konnte an einer sehr, sehr alten Sandsteinmauer eine interessante Flechte entdecken.

    Die besagte Mauer befindet sich in unmittelbarer Flussnähe und besteht aus vermörteltem, altem Sandstein, also kalkreicher Untergrund.

    Die Flechten, die ich der Gattung Diploschistes zuordenen möchte, waren an Mauerabschnitten sowohl in Westausrichtung als auch Südausrichtung (halbschattig bis schattig durch unmittelbare Gebäudenähe) an den Vertikalflächen zu finden.

    Bild 1 Blick über die Mauer auf den Neckar


    Der kreideweiße Flechtenthallus ist bereichsweise leicht gelblich verfärbt.

    Der Flechtenthallus ist wellig, teilweise leicht rissig bis schwach areoliert und löst sich mittig vom Substrat ab.

    Bild 2 Flechtenthallus


    Das Zentrum der Flechte in Bild 3 liegt in der Mauerfuge, bei anderen Thalli auch direkt auf dem Sandstein.

    Wichtig finde ich, dass nirgends Moos oder Cladonien zu sehen sind oder sich durch das Flechtenlager durchprägen.

    Die Flechte liegt direkt auf dem Stein auf - wobei ich nicht ganz ausschließen kann, dass nicht andere, dünne Krustenflechten bereichsweise überwachsen sind.

    Bild 3 Flechtenthallus mit blasigen Ablösungen über der Mauerfuge (ideal für Probennahme)


    Besonders auffällig sind bei dieser Flechte die Apothecien, die tief in den Thallus eingesenkt sind und von ihm wulstig überragt werden.

    Schon alleine dadurch ist sie leicht als Krugflechte kenntlich.

    Bild 4 Detailansicht mit Apothecien


    Die kleinen Probenkrümel sollten für eine gründliche Anlyse ausreichen.

    Ihre Entnahme stört die große Flechte wohl nicht.

    Eigentlich habe ich viel zu viel mitgenommen, der große Krümel hätte vollauf gereicht.

    Bild 5 Proben, großes Stück etwa 5mm x 4mm


    Die Rückseite zeigt ausschließlich Sandkörner (Mörtelrückstände), an welchen sich die Flechte befestigt hatte.

    Keines der Probenstücke zeigt Moos oder Flechtenrückstände auf der Unterseite.

    Bild 6 Weiße Flechtenrückseite mit Befestigungshyphen an Sandkörnern (Mörtelrückstand)


    Unter der Stereolupe lässt sich die Feinstuktur erkennen. Der Thallus überwallt die Apothecien.

    Bei einigen der Apothecien lässt sich der Lagerrand des Apotheciums unterhalb des Lagerwulstes als tiefer liegender, innerer Ring erkennen.

    Bild 7 Lupenbild der Mitte der großen Probe mit Blick auf die tief eingesenkten, bereiften Apothecien ("Krüge")


    An Farbreaktionen lässt sich nur C+ rot feststellen, sonst P-, K-

    Bild 8 Natriumhypochlorit-Lösung (NaClOaq) auf Flechtenlager aufgebracht => Farbreaktion C+ sofort rot


    Beim Versuch, Hymenium mit einer Präpariernaden aus einer Öffnung zu entnehmen, zerbricht das Flechtenlager und gibt den Blick auf das zuvor überwallte Apothecium frei.

    Das ausgebrochene Apothecium mit Lagerrand ist in der Bildmitte, oberhalb und unterhalb davon unscharf die beiden Hälften des ursprünglich überwallenden Lagers.

    Bild 8 Ausgebrochenes Apothecium


    Ein vorsichtiger Schnitt durch ein anderes Apothecium legt das Hymenium, die Algenschicht und das Mark frei.

    Bild 9 Flacher Schrägschnitt durch Apothecium mit Blick auf die grüne Algenschicht


    Beim Blick durch das Mikroskop erkennt man bei schwacher Vergrößerung dunkle Sporen in den Schläuchen

    Bild 10 Schnitt durch Apothecium


    Auch interessant, dass sich das Plasma in den Schläuchen in Lugol orange einfärbt - ein typisches Verhalten bei der Flechtengattung Diploschistes.

    Bild 11a Lugolzusatz: Ascoplasma orange teilweise eingefärbt; siehe Schläuche recht unterhalb Bildmitte

    Bild 11b Orange gefärbtes Ascoplasma in Lugol, Ascusspitze dickwandig


    Die gemauerten, graubraunen Sporen sind spindelförmig und mehrfach (5-7fach) quer-, teilweise auch einmal längsseptiert.

    Sie liegen zu 4 oder 8 in den Schläuchen.

    Die Sporenabmessungen liegen bei 29-36 x 10-15 µm²

    Bild 12 Gemauerte Spore (in Lugol)

    Bild 13 Beispiel für Ascus mit 8 (?) Sporen, andere Asci enthalten nur 4 Sporen!

    Die Flechtengattung Diploschistes halte ich für gesetzt bzw. ziemlich sicher, wofür Habitus von Thallus und Apothecien spricht, ebenso die Farbreaktionen (Thallus C+ rot, Ascoplasma IKI+ orange), auch die Fundumstände passen.

    Nach Wirth sind innerhalb Deutschlands vier Diploschistes-Arten nachgewiesen.

    Am häufigste ist wohl D. muscorum, sie gilt als selten und wächst und überwächst wohl schwerpunktmäßig auf Cladonien und Moose (Boden- und Rindenmoose).

    Die extrem seltene D. diacasis kommt auch auf Moosen vor, nicht auf Cladonien und bevorzut trockene, gipsreiche, sonnige Böden in eher kontinentaler Lage.

    Auf Stein kommen D. scruposus (acidophil => Silikatggesteine) und D. gyspaceus (basiphil => kalkhaltige Gesteine) vor.

    D. scruposus soll eher graue, beige Thalli besitzen, die fest mit dem Substrat verwachsen, während D. gypsaceus einen weißen Thallus besitzt und sich blasig vom Untergrund löst.

    Da das vorliegende Gestein vermörtelter (!) Sandstein ist, und sich die weiße, nicht graue Flechte blasig ablöst, kein Moos als Substrat vorhanden ist, spricht dies alles meines Erachtens eigentlich für einen Fund von D. gypsaceus.

    Was mich stört, ist, dass nur die moosbewachsenden Diploschistes-Arten in meiner Gegend (Neckar bis Odenwald/Spessart) bei Wirth als Fund gelistet sind!

    Mithin wäre D. gypsaceus hier bei mir wirklich selten (dafür finde ich sie aber relativ oft, das ist schon mein 2. Fundort).

    Und: über D. muscorum lese ich bei fungi.myspecies.info, dass die Farbe des Thallus "white to pale grey to chalk-white, occasionally slightly yellow-tinged" sei.

    Das macht mich stutzig, da die Thalli bisher immer leichtgelbstichig waren.

    Also D. muscorum ohne Moos als Substrat?

    Vielleicht weiß jemand Rat?

    Wie auch immer, die Analyse hat Spaß gemacht, aber für Apothecien-Dünnschnitten muss ich noch einiges an Fertigkeit entwickeln, das ist so noch nix!

    Das es sich um einen Spontan ausflug handelte, konnte ich nur Handybilder aufnehmen, weshalb die Qualität der Bilder leider nicht die Beste ist.

    LG, Martin


    PS: Die Mauer ist wirklich interessant, hier habe ich auch meine erste Hypotrachyna cf. revoluta auf (beflechtetem) Gestein gefunden, allerdings auf der anderen, viel sonnigeren Westseite des Gebäudes, wenn auch von einem Lindenbaum beschattet.

    Diese Flechte kenne ich bisher ausschließlich von Ästen, besonders von Obstbäumen (meist Apfel) im Umland.

    Eine sehr pittoreske Flechte!

    Ich habe sie in Ruhe gelassen - ist sie doch die einzige ihrer Art dort.

    Bild 14 Hypotrachyna revoluta über Flechten auf Sandsteinmauer in Flussnähe

    Bild 15 Unterseite der Hypotrachyna