Hallo!
Am Neujahrstag im Wald stieß ich auf eine flechtenbewachsene, umgestürzte Esche (Knospen!) am Waldrand.
So ein Fund ist immer einladend, denn im oberen Stammbereich und Kronenbereich lassen sich interessante Flechten finden, die man am unteren Stamm an einem stehenden Baum vielleicht nicht gefunden hätte.
Ferner kann man mit dem Messer leicht und unbeschwert einige Flechten-Pröbchen abschälen, denn einem toten Baum schadet der Rindenverlust nicht mehr.
Bild 1 Liegende Esche mit Flechtenbewuchs in Bachnähe am lichten Waldrand
Mein Interesse galt den kleineren Flechten.
Zwischen den Phaeophyscien leuchtet eine kleine, weiße Krustenflechte mit hellen, aufsitzenden Apothecien.
Diese Flechte kenne ich nicht, das ist eine Überprüfung wert!
Bild 2 Krustenflechte; die Bildbreite entspricht in natura etwa 7 mm
Die Apothecien besitzen einen hellen Rand, die Ap.-scheibe ist beige mit auffallend dunklen Flecken.
Der Thallus ist schneeweiß und schollig-rissig areoliert.
Bild 3 Hell berandete Apothecien, Durchmesser um 300/400 µm
Thallus und Apothecium reagieren nicht sichtbar auf die Färbereagenzien: K-, KC-, P-
Ein Quetschpräparat aus Apothecien ist schnell hergestellt.
Algenpartner sind einzellige, coccoide Grünalgen.
Bild 4 Grünalgen
Die dunklen Flecken in der Apothecienscheibe gehen auf pigmentierte Paraphysen zurück.
Das Hymenium ist nur schwach verklebt.
Bild 5 Hymenium, Paraphysen einfach (unverzweigt) und mit dunkler Kappe
Die Sporen sind spindelförmig, farblos und meist 4-zellig.
Auch die Paraphysen sind deutlich mehrzellig; die Endzellen sind dunkel pigmentiert.
Bild 6 Paraphysen sehr schwach kopfig, Pigmentierung dunkel olivbraun, Hymenium um 50-60 µm dick
Die Sporenabmessungen liegen 14,8-19,0 x 4,0-4,8 µm²
Bild 7 Die keuligen Schläuche sind mit 8 Sporen gefüllt; Sporen spindelig, 4-zellig, schwach gekrümmt, farblos und inamyloid
Bild 8 Hymenium kräftig amyloid, Sporen schwach gekrümmt
Zusammenfassung:
Fundort: Waldrand in Bachnähe; Esche, oberer Stammbereich
Thallus weiß, rissig areoliert ohne Sorale
Apothecien aufsitzend mit weißem, algenlosem Rand
Ap. jung flach, später kugelig aufgewölbt
Ap.scheibe hell bräunlich mit dunklen Flecken
Färbereaktionen: R-
Algenpartner: coccoide, einzellige Grünalgen
Hymenium: farblos, amyloid (IKI+ blau), schwach verklebt, um 50-60 µm dick
Epihymenium (= Paraphysenköpfe) fleckig dunkel olivbraun, Hypothecium farblos
Schläuche 8-sporig, mit dickem Tholus (Okularkammer nicht erkannt)
Paraphysen mehrzellig, einfach, sehr schwach köpfig, mit dunkel pigmentierter Kappe.
Sporen: farblos, spindelförmig, schwach gekrümmt, 3-fach querseptiert (4-zellig); inamyloid; typ. 17,0 x 4,4 µm groß
Die Wirth'schen Schlüssel führen sowohl über den Lecania- als auch über den Bacidia-Schlüssel zu Lecania naegelii, der "Nägeli-Flechte" oder "Ast-Blassrandflechte".
L. naegelii kommt meist an Stamm und Ästchen von Laubbäumen mit schwach saurer Rinde vor, u.a. Hollunder, Pappel, Walnuss, Esche, Eiche, Ahorn.
Sie bevorzugt lichtreiche Standorte, verträgt Staubanflug und ist häufig mit der Wand-Gelbflechte, Xanthoria parietina, vergesellschaftet, gilt aber eher als selten vorkommend (Wirth).
Wahrscheinlich wird sie selten beobachtet und nachgewiesen, weil man diese unscheinbare Krustenflechte sehr leicht übersehen kann!
Ein Vergleich mit der Flechte auf der superben bretonischen Flechtenseite stützt die Bestimmung ab.
LG, Martin